„In the late Middle Ages, a literary genre of devotional books illustrated with woodcuts flourished under the name ‘ars moriendi’. They gave instructions on how to ‘die well’. The purpose of this tradition was to attune the soul to the ‘art of dying’ in order to save it for
eternity. Music is also an ars moriendi, an exercise in the "becoming" of a note, of "being" in sound and of "passing" into silence – or into an inner reverberation.
– Paul Giger
"Becoming – Being – Passing" – this is the name of the tryptichon by the Tyrolean painter Giovanni Segantini, which served violinist and composer Paul Giger as an important source of inspiration for the music on ars moriendi. The theme of transience runs through this programme like a thread and combines Bach compositions with original pieces and music influenced by traditional Swiss folk in equal parts. Much of the programme was written in connection with the film about the painter, Giovanni Segantini – Magie des Lichts, and was recorded in the Chiesa Bianca, Maloja, in the Swiss canton of Graubünden. On the album, Giger is joined by Marie-Louise Dähler on harpsichord, Pudi Lehmann on gongs and percussion, and alto Franz Vizthum as well as the Carmina Quartett to form a chamber ensemble.
"In Guggisberglied, apart from the water sounds, everything bowed, beaten, drummed, scratched and plucked was recorded and partly arranged with my 11-string violino d’amore and brought together in the studio," the violinist explains the complex sound collage behind the meditative opening piece. It is one of the oldest and best-known Swiss folk songs, which Giger makes his own through an additional fifths-relationship, thereby expanding the material with a nine-tone scale. Beyond occidental practices, the violinist also makes use of non-European musical idioms, so that characteristics of South Indian music also come to bear. The Zäuerli mit Migrationshintergrund in turn, uses elements of the traditional natural yodel from the Swiss canton Appenzell, and expands these with a microtonal language as well as a low second degree, as is common in the Arabic "Bayati" maqam.
An utterly distinguished, atmospheric sound poetry comes to the fore on Agony I, II and III, produced by Pudi Lehmann’s extensive instrumentation as well as violin, chest organ and the discreetly applied notes of the string quartet. The expansive Agony parts are interspersed with idiosyncratic interpretations of pieces by J.S. Bach: Bach’s cantata Ich ruf’ zu dir, the Largo from Bach’s Sonata No. 4 in C minor, and the aria Erbarme dich from the St. Matthew Passion.
Ich ruf’ zu dir and Largo are duo performances between harpsichord and violin, while Erbarme dich features the entire ensemble, including the passionate alto of Franz Vizthum, who also plays an essential role on the album-closing Altus solo II. Here again transience is the main theme – the text comes from the Egyptian Book of the Dead "Pert Em Hru" (translated: "Coming forth by day"). Giger: "The report from the afterlife and the merging of the deceased with the sun god Ra is only one level in the final music Altus solo II: at the same time and, as it were, in contrast to this, from a nihilistic conception, the harpsichord represents a wind-up music box that slowly expires at the end of its life and then stands still." Musically, Giger translates these notions on violin with overtone-rich and pizzicato-heavy playing, but also with long, plaintive melodic arches that, in the interplay with interrupted harpsichord arpeggios, form the dynamically wide-ranging framework for Vizthum’s voice.
„Im späten Mittelalter florierte unter dem Namen „ars moriendi" eine literarische Gattung von Erbauungsbüchern, illustriert mit Holzschnitten. Sie gaben Anleitung zur Vorbereitung auf den ‘guten Tod‘. Die Musik ist ebenfalls eine ars moriendi, eine Einübung des ‘Werdens‘ des Tones, des ‘Seins‘ im Klang und des ‘Vergehens‘ in die Stille – oder in ein inneres Nachklingen.“
– Paul Giger
“Werden-Sein-Vergehen” – so lautet der Name des Tryptichons des Tiroler Malers Giovanni Segantini, das dem Geiger und Komponisten Paul Giger als wichtige Inspirationsgrundlage für die Musik auf ars moriendi diente. Das Thema der Vergänglichkeit zieht sich wie ein roter Faden durch dieses Programm, das in gleichen Teilen Bachkompositionen, eigene Stücke sowie Einflüsse traditioneller Schweizer Musik umfasst. Ein Großteil der Musik entstand im Zusammenhang mit dem Film über den Maler, Giovanni Segantini – Magie des Lichts, und wurde in der Chiesa Bianca, Maloja, im Schweizer Kanton Graubünden aufgenommen. Auf dem Album wird Giger von Marie-Louise Dähler am Cembalo, Pudi Lehmann an Gongs und Perkussion sowie dem Altus Franz Vizthum und dem Carmina Quartett zu einem Kammerensemble erweitert.
„In Guggisberglied wurde außer den Wasserklängen alles Gestrichene, Geschlagene, Getrommelte, Gekratzte und Gezupfte mit meinem 11-saitigen Violino d’amore eingespielt und teilweise bearbeitet“, erläutert der Violinist die komplexe Klang-Collage, die sich hinter dem meditativen eröffnenden Stück verbirgt. Es handelt sich dabei um eines der ältesten und bekanntesten Schweizer Lieder, das sich Giger zu eigen macht und, durch eine zusätzliche Quintbeziehung, mit einer Neun-Tonleiter versieht. Über abendländische Praxen hinaus, bedient sich der Violinist hier ebenfalls an außereuropäischen Musikidiomen, sodass auch Merkmale Südindischer Musik zum Tragen kommen; das Zäuerli mit Migrationshintergrund, wiederum gebraucht Gepflogenheiten des traditionellen Appenzellischen Naturjodels, dem „Zäuerli“, und erweitert diese mit einer mikrotonalen Tonsprache sowie einer tiefen zweiten Stufe, wie sie im arabischen „Bayati“ Maqam geläufig ist.
Eine nochmals ganz andere, atmosphärische Klangpoesie kommt auf Agony I, II und III zur Geltung, hervorgebracht durch das umfassende Instrumentarium Pudi Lehmanns sowie Violine, Truhenorgel und das dezent eingesetzte Streichquartett. Die flächigen Agony-Teile sind von eigenständigen J.S. Bach-Interpretationen durchsetzt: Bach’s Kantate Ich ruf‘ zu dir, das Largo aus Bach’s Sonate Nr. 4 in c-Moll sowie die Arie Erbarme dich aus der Matthäuspassion.
Ich ruf zu dir und Largo sind Duo-Vorträge zwischen Cembalo und Violine, auf Erbarme dich wiederum kommt das gesamte Ensemble zum Tragen, inklusive der leidenschaftlich fragilen Altusstimme Franz Vizthums, der auch auf dem albumbeschließenden Altus solo II entscheidend beteiligt ist. Hier geht es wieder um die Vergänglichkeit – der Text stammt aus dem ägyptischen Totenbuch „Pert Em Hru“ (übersetzt: „Hinaustreten der Seele ins helle Tageslicht“). Giger: „Der Bericht aus dem Jenseits und das Verschmelzen des Verstorbenen mit dem Sonnengott Ra ist in der letzten Musik Altus solo II nur die eine Ebene: gleichzeitig und gleichsam im Gegensatz dazu stellt aus einer nihilistischen Vorstellung heraus das Cembalo eine Aufzieh-Spieldose dar, welche am Ende ihrer Lebenszeit langsam abläuft und dann stillsteht.“ Musikalisch übersetzt Giger diese Inhalte mit oberton- und pizzicato-reichem Violinspiel, aber auch mit langen, klagenden melodischen Bögen, die im Zusammenspiel mit den gebrochenen Cembalo-Arpeggios den dynamisch weit aufgefächerten Rahmen für Vizthums Gesang bilden.