Zu den aufrichtig ‚suchenden‘ Pianistinnen zählt die Russin Anna Gourari, die, wenn sie nicht Chopin, Brahms oder Skrjabin aufnahm, gern und recht grüblerisch modernen, auch lebenden Komponisten huldigte. In ‚Canto Oscuro‘ verknüpfte sie Bach mit Gubaidulina und Hindemith, jetzt stellt Anna Gourari das Album ‚Elusive Affinity‘ vor, kuriose ‚flüchtige Verwandtschaften‘ in einer Ansammlung von Klavierminiaturen von Komponisten aus der slawischen oder baltischen, früher dem Sowjetreich zugehörigen Kultursphäre: düstere Aphorismen Alfred Schnittkes, einsilbige Poèmes von Giya Kancheli und die kapriziösen, Gourari gewidmeten Tagebuchnotate von Rodion Shchedrin. Auch frühe Variationen Arvo Pärts. Dazwischen hält Gourari ‚Zwiesprache‘ mit Wolfgang Rihm, den so genannten fünf, 1999 komponierten In-Memoriam-Stücken für verstorbene Freunde, Mentoren. Eingerahmt ist die Sammlung durch zwei barocke Adagio-Piècen in Bearbeitung des Zeitgenossen Johann Sebastian Bach. Lauter Affinitäten – oder melancholische Traumbilder der Langsamkeit.
Wolfgang Schreiber, Süddeutsche Zeitung
Bach macht den Anfang. Ganz beiläufig, vertraut – als wäre man schon eine Weile im Gespräch mit ihm. Und mit ihr, mit Anna Gourari. Die ihn sprechen lässt. Straight und gelassen. Nur zwischen den Zeilen, da schimmert es melancholisch. Und dann … beamt sie uns weg. Weg an einen Ort, an dem der Zusammenklang seine Selbstverständlichkeit verloren hat. Wo die Töne einsam durch den Raum driften. Schwerelos, irrlichternd, ohne Gravitationszentrum. Besser gesagt, fast ohne. Denn das neuste Album von Anna Gourari funktioniert wie ein Bumerang. Es startet mit Bach, katapultiert uns dann ein paar hundert Jahre in die Zukunft – sprich in unsere musikalische Gegenwart, zu Schnittke, Kancheli, Shchedrin, Pärt und Rihm – und landet am Ende wieder bei Bach. […] Dieses Album durchhören, das ist ein bisschen so wie Wolken beobachten. Welche Figuren man in ihnen entdeckt, das ist zwar subjektiv – aber deshalb nicht willkürlich. Auch assoziative Verbindungen knüpfen ja irgendwo an. Hier nicht nur an melodischen Fragmenten, sondern vor allem an einem ganz bestimmten Klangbild, das Anna Gourari in ihrer Einspielung durchhält. Gläsern, sphärisch, zerbrechlich. Dazu kommt eine fast meditative Spielhaltung. Da wird der Moment gedehnt, so dass die Töne einzelnen aufleuchten. Und als Hörer bekommt man Zeit, viel Zeit, ihnen beim Verglimmen zuzusehen.
Tobias Stosiek, Bayerischer Rundfunk
Zumeist ist es dieser mit sparsamsten Mitteln erzeugte, ins Halbdunkel gekehrte Ton der Sehnsucht und des Abschieds, der Nachdenklichkeit und Resignation, der sich wie ein roter Faden durch eine Werkauswahl zieht, die dabei nicht selten die Grenzen einer ohrenbetäubenden Stille und Ruhe streift. Nur zwischendurch fällt etwas Licht hinein, dank etwa eines kinderliedartigen, aber auch ungemein wunderschön sentimentalen Stückchens von Kancheli. Bei Anna Gourari lernt man so nicht nur die lyrischen Seiten einer gemäßigten Moderne kennen. Bei ihr öffnen sich in der Fantasie des Hörers immer wieder Klangräume, die durch eine Geheimtür miteinander verbunden zu sein scheinen.
Guido Fischer, Rondo
Once in a while, I hear a new recording which not only introduces me to a rich seam of new repertoire, but which is quite simply mesmerizing from start to finish. Elusive Affinity is Russian pianist Anna Gourari’s third recording for ECM recordings, and it is such a disc. Juxtaposing a selection of tonal and non-tonal music, with a focus on pieces which explore musical connections and influences extending across the arts, Elusive Affinity is a genuinely astonishing album on every level, and a clear choice for Recording of the Month here on Pianodao. […] Gourari’s investigation of artistic affinities is framed with Bach’s transcriptions of Venetian composers Antonio Vivaldi and Alessandro Marcello. Once again, this is music of sublime appeal, magnified by the context, so also illuminating the qualities of the rest of the programme. […] Anna Gourari’s performances of these works are never less than breathtaking. Aside from the virtuosity – which is truly stunning – there’s a colour to her playing, a variety to her tone production, which still further underlines the remarkable affinities in her enterprising choice of music. Perhaps above all else, Gourari’s mellifluous sense of pacing is really so wonderfully exquisite. […] Outstanding.
Andrew Eales, Pianodao
Il faut oublier, tout oublier pour entrer dans l’univers d’Anna Gourari. Un univers hors du temps et des esthétiques, en quête de silence, de sens et d’éternité. Magistral. […] Plus on avance dans le récital, plus l’intensité mystique se répand : silences, accords de cathédrales, vibrations, résonances… Les ‘Variations’ d’Arvo Pärt tiennent de la prière. Plénitude et clarté heureuse, finesse inouïe de la respiration, projection du son… Chaque phrase entre dans une narration dramatique, moins en quête du temps que du sens, le premier sans cesse déconstruit puis reconstruit. La simplicité est la chose la plus difficile à obtenir et l’interprétation des ‘Variations’ de Pärt paraît comme le cœur du récit. […] Le sentiment de solitude qui domine cet album – comme, du reste, les précédents volumes de la pianiste – imprime une marque qui émeut. Inclassable.
Stéphane Friédérich, Res Musica
Ein Album zum Eintauchen in Melancholie, tiefe Gedanken, die Suche nach Ähnlichkeiten, in Tonalitäten und Atonalitäten.[…] Anna Gouraris neue Scheibe beginnt mit Bach, Johann Sebastian. Im italienischen Gewand. Und sie nimmt uns mit in verrätselte, rätselhafte, Rätsel lösende Territorien von Alfred Schnittke, Giya Kancheli, Rodion Shchedrin, Arvo Pärt, Wolfgang Rihm. Hier öffnet sich eine pianistische Klanglandschaft, die der Musik in ihrer weltweiten Offenheit Tür und Tor öffnet. Die der Einheit von dem, was als alt definiert wird, in der spannenden Beziehung zwischen all dem, was wir uns angewöhnt haben, in tonal und atonal zu teilen, Spielraum eröffnet.
Wolf Loeckle, Neue MusikZeitung
Simao ancora in casa ECM attratti da quella cifra inconfondibile con cui la casa tedesca concepisce I propri impaginati, non come prodotti preconfezionati ma quale invito all’ ascoltare apartecipare a più segrete avventure. Come quelle offerte da questo nuovo disco di Anna Gourari e già intuibili dallo stesso titolo, ‘Elusive Affinity’. Percorsi già sperimentati dalla pianist Russia nei due precedenti dischi, ‘Canto oscuro’ e ‘Visions fugitives’ rivelatori della particolare sensibilità di questa interprete […] Il terreno questa volta appare più vago, al tempo stesso più sottilmente intrigante nel gioco dei rimandi […] Ma poi avvicinandosi a noi si apre un più ‘elusivo’ panorama, nel contrasto tra la tetraggine introspettiva e la luminositá sublimata. […] Poi ad accompagnarci fuori da questa oscurità la sorpresa stranita delle ‘Variationen zur Gesundung von Arinuschka’, il luminoso canto che Arvo Pärt intona per la guarigione della figlia Arina. L’affinità della Gourari con questa situazione è ben percepibile dal modo con cui va distillando le variazioni dal tessuto luminoso che dalla naturalezza dell’accordo perfetto genera una meldoia tanto elementare quanto incantatoria […] Estasi pacificante che la Gourari intreccia con una più corrente luminosità, con I due pezzi di Giya Kancheli.
(Here is another example of one of the countless ECM releases, which not only offers the listener music with its well thought-out conception, but also invites to special musical explorations, as the title of this album already suggests: Elusive Affinity. A musical journey, as the pianist had already undertaken with the two previous albums ‘Canto oscuro’ and ‘Visions fugitives’, which revealed the extraordinary sensitivity of this interpreter. […] This time the ‘terrain’ appears less obvious, but at the same time more subtle and fascinating in its interplay. […] An ‘elusive’ panorama opens up between the introspective gloom and the sublimated luminosity. […] like dark shadows at Schnittke that seem to dissolve into Shchedrin. The ‘climate’ of the collection/focus is continued with Rihm.
[…] It is the unexpected and surprising variations of Arvo Pärt, a shining chant, that lead us out of this darkness. Gourari’s affinity becomes visibly audible as she ‘distils’ these variations from the luminous fabric, which ‘draws’ a melody from the naturalness of the perfect chord that is as simple as it is enchanting… A peaceful ecstasy that Gourari interweaves with a more contemporary ‘luminosity’ follows with two piano pieces by Giya Kancheli.)
Gian Paolo Minardi, La Gazzetta di Parma
20 kleinere Klavierstücke zeitgenössischer Komponisten hat Anna Gourari hier zu einem rätselhaften Konvolut zusammengetragen und diese sehr individuelle Sammlung mit zwei Bach-Transkriptionen von langsamen Konzertsätzen italiensicher Meister flankiert. Zwar bleiben die Zusammenhänge der Stücke meist im Verborgenen, hier und da vermeint man eine Anspielung auf Bach zu vernehmen, eine ähnliche Geste in einem bereits gehörten Stück wiederzuerkennen, aber es ist mehr eine innere Gestimmtheit, die die Stücke als schlüssiges Ganzes zusammenhält. […] Mit feinem Linienspiel, einer hochkonzentrierten Ausgestaltung der dynamischen Skala und einer rhetorisch eindringlichen Spielweise gelingt es Anna Gourari, die verschiedenen Sphären mit einander kommunizierend zu verbinden. Die elegisch-traumhaft intonierten Bach-Transkriptionen, die Beginn und Ende dieser poetischen Reise durch die zeitgenössische Klavierlandschaft markieren, fügen sich nahtlos in das stimmig ausbalancierte und sehr persönliche Magiekonzept der Pianistin.
Frank Siebert Fono Forum
For her third ECM release, Anna Gourari has assembled a thoughtful miscellany whose affinity is not so much elusive as susceptible to change between works and across the recital overall. […] Gourari is a lucid guide to this music, as also to the winsome adaptions from theatre and film scores by Giya Kancheli, ‘get well’ variations by Arvo Pärt that crystallise his re-embrace of tonality, and slow movements from Bach’s concertos after Vivaldi and Alessandro Marcello that bookend the recital with unerring pathos.
Richard Whitehouse, Gramophone
I greatly admired Anna Gourari’s ‘Canto Oscuro’ album on the ECM label, so needed no persuasion at all to see this kind of magic extended into ‘Elusive Affinity.’ […] We’re led gently into the quietly dramatic atmosphere of this recording with a lovely rendering of one of Bach’s Vivaldi transcriptions. Alfred Schnittke’s darkly expressive ‘Five Aphorisms’ are in part a reflection on the stark fragility of life, each piece taking its cue from a poem by Schnittke’s friend Joseph Brodsky. […] Starkness of contrast could hardly be greater than between Schnittke’s grim imagery and the salon romance of Kancheli’s Piano Piece No. 15. This is a pallet cleanser that takes us into Shchedrin’s ‘Diary – Seven pieces’, a work dedicated to Gourari. The title suggests something autobiographical, but there is an enigmatic quality to the music that removes specificity, leaving associations to the listener. Poignant regret, the turbulence of a journey, nocturnal stillness or fearful trepidation – you can take your pick and allow your imagination free rein. Arvo Pärt’s ‘Variationen zur Gesundung von Arinuschka’ or ‘Variations to speed the recovery of little Arina’ refers to the youngest of the composer’s children and is one of those perfect quasi-miniatures that is both elemental in its simplicity and thorough in the working-out of its counterpoint. The affinity with Bach is perhaps clearest here, though Pärt goes back further in time, playing on techniques that seem to spring from Medieval antiphons. […] This isn’t the kind of recording that will have you dancing in the street, but it is a carefully constructed and thought-provoking programme that guides you from beauty through the darkness of mortality and back into light. Anna Gourari’s playing is of the highest standard, and creates a moving atmosphere with each of the composers presented. ECM’s recording is as usual a delicious balance between acoustic richness and refined detail.
Dominy Clements, Music Web
Mit großer Sensibilität und Behutsamkeit bewegt sich Anna Gourari durch die schattig dunklen Klangwelten dieser Stücke, die nur selten eine Aufhellung erfahren. Um die Stimmungen zwischen Sehnsucht und Resignation und zwischen Melancholie und Abschied nachzuzeichnen, steht ihr eine breite Palette von Farben zur Verfügung, die sie feinfühlig zum Einsatz bringt. Ein tolles Album!
Mario-Felix Vogt, Pianist
Voici un disque […] austere et subtil, mêlant musique contemporaine et reminiscences baroques. La piaiste Anna Gourari a construit un programme à l’impressionante symétrie […] C’est donc à un voyage intérieur que nous convie Anna Gourari. Il faut accepter d’entrer avec concentration dans cet univers ‘sèrieux’, au sens brahmsiens des ‘Quatre Chants sérieux, parfois allusive ou mystérieux. La pianist attaint à une grande densité du propos et à une expression concentrée, pleine d’introspection: les moyens sont à la hauteur du projet.
Sarah Léon, Classica