Früher mit eher blockhaft aneinandergesetzten Kompositionstechniken arbeitend, trieb ihn ‘ein Hunger nach mehr Kohärenz’ ums Millenium einem Prinzip entgegen, das ‘Verbinbdlichkeit im Rahmen einer sehr großen Variabilität’ gewährt. Dieses Prinzip, mit dem sich vor allem ‘eine Logik der polyphonen Linearität’ herstellen lasse, bezeichnet Tüür als ‘vectorial’. Diese Logik wird durchaus vernehmlich. Wirkten seine changierenden Kettenspiele früher eher verspielt (auch wenn sie arithmetischer Zahlenkombinatorik entsprangen), so entfalten seine jüngeren Stücke eine unerhörte Sogkraft. Wie das liquid anmutende Klaviertrio ‘Fata Morgana’ (2004), das mit Fortissimo-Schlägen des Flügels einsetzt, als brächen sich mächtige Wogen an einem Granitblock, um sich erschlaffend zurückzuziehen, bevor die nächste Welle andrängt. Dagegen gibt sich das Duo ‘Synergie’ für Violine und Violoncello (2010) zart besaitet: ein labiles Beziehungsspiel, zages Annähern und scheues Entfernen, eine Schattenserenade wie aus Märchenzeit.
Das zweiteilige Streichquartett ‘Lost Prayers’ (2012) neigt wieder zu dynamischen Kontrasten: harte Schnitte, sanftes Innehalten, jähes Auffahren. Auffallend zudem das Aufwärtsstreben des Linienspiels. In den Aufflugfiguren scheinen sich die verlorenen Gebete des Werktitels zu verflüchtigen. HImmelwärts weisen auch die ‘Lichttürme’ des zweiten Klavertrios (2017). In seinen Wiederholungsmustern mag altestnischer Runengesang nachklingen.
Von den […] Interpreten im Bremer Sendesaal detailfein ausgestochen und penibel aufgezeichnet, schließt die Edition eine Wahrnehmungslücke im Spektrum der mittlerweile tonangebenden Stimme Estlands in Europa und der Welt.
Lutz Lesle, Neue Zeitschrift für Musik
This is a delicious piece of programming, in which all four pieces by Erkki-Sven Tüür are intensely structurally related while none are copies or rehashes. The earliest is ‚Fata Morgana‘ (2002), in which spread-upward arpeggios on the piano form pillars between which violin and cello achieve something like a trance state. There are moments of playful and almost rhetorical serialism – a tone row included – and Baltic pain etched in typical parallel-motion harmony. With more gossamer textures to begin with, ‚Synergie‘ (2010) for violin and cello explores ascending journeys- in-miniature towards the same chord while the conversation in between becomes ever more intense. ‚Lichttürme‘ (2017) for piano trio forensically examines the same harmonic vector with Messiaen-like colours and rhythmic devices. Tüür’s second string quartet ‚Lost Prayers‘ (2012) uses the lurching, grinding chords that open as yet more structural pillars. It’s clear enough when those lost prayers are found, and what a beautiful moment it proves to be. […] these performances are heartfelt but frequently reach something else. In ensemble playing, matching is harder than reacting and some of the mirror-playing from Florian Donderer and Tanja Tetzlaff in ‚Synergie‘ is astonishing. The harmonic balance of the string quartet’s thick chords is demonstration-level.
Andrew Mellor, The Strad
Although there is no hint of popular rhythms, there are traces of Tüür’s background in progressive rock; there is a certain mystical quality in common. Tüür is best known for his orchestral music, but these features are also present in these examples of his chamber music, all of them composed after the year 2000. The violin-and-cello duo ‘Synergie’ (2010) was composed for Renaud and Gautier Capuçon but is splendidly performed here by the husband-and-wife pair of Florian Donderer and Tanja Tetzlaff, engaging in sharply etched dialogue. The pieces are evocatively titled, and the piano trio ‘Lichttürme’ (‘Light Towers’), with rising melodies that are characteristic of Tüür, offers a fine example of how the sound sculptures of this composer linger in the memory. Tüür needs high-energy, precise performances, and that is what he gets from the various chamber players present, including Donderer’s Signum Quartett. It goes without saying that ECM delivers superior engineering, but the label’s work here, from the Sendesaal Bremen, is nonpareil.
James Manheim, All Music
Erkki-Sven Tüür gehört zu den herausragenden Komponisten der Gegenwart. Ihm geht es um Prozesse, die sich hochdramatisch auftürmen oder Pianissimo-Irritationen verfolgen können. […] Die CD ‘Lost Prayers’ versammelt vier unterschiedliche Kammermusiken: Das wuchtige Klaviertriostück ‘Fata Morgana’ (Marrit Gerretz-Traksmann, Klavier, Harry Traksmann, Violine, Leho Karin, Violoncello), das fein gewirkte Violine-Violoncello-Duo ‘Synergie’ (Florian Donderer, Tanja Tetzlaff), das dynamisch wogende klangreiche 2. Streichquartett ‘Lost Prayers’ (Signum Quartett) und das sich emporschwingende Klaviertrio ‘Lichttürme’ . Die Spieler verwirklichen Tüürs auch im Zarten immer lebensvolle und anspannende Musik mit Verve und Genauigkeit.
Harald Eggebrecht, Süddeutsche Zeitung
Erkki-Sven Tüür is best known for his robustly elemental orchestral writing, with nine symphonies and a host of concertos and other large-scale pieces composed to date. Yet, as this album of chamber works attests, he is equally at home with far smaller forces where his trademark dramatic extremes and expansive gestures take on a powerful immediacy close-up. Named after Tüür’s String Quartet No. 2, ‘Lost Prayers’, this album’s collected works are striking for their consistency and coherence over a span of 15 years. Each deploys motivic seeds which, as they grow and mutate, generate organic structures that knit that work together as it were from the inside. […] all are delivered with exemplary drive and luminosity: the Signum Quartett respond vividly to the changing textures of Tüür’s imagined ‘Lost Prayers’, while Florian Donderer (violin) and Tnja Tetzlaff (cello) create pools of colours as they stretch and entwine in the aptly titled ‘Synergie’. But it’s in ‘Fata Morgana’ and especially ‘Lichttürme’ (Towers of Light) where the harmonic fields are most resonant, the piano in each case affording a rippling sustain that unites the earthly with the ethereal. Both are beautifully navigated by Harry Traksmann (violin), Leho Karin (cello) and Marrit Gerretz-Traksmann (piano).
Steph Power, BBC Music Magazine (Five stars)
La musique de chambre de Tüür conserve cette expressivité communicative que sous-tend une manipulation réfléchie des motifs rythmiques et mélodiques. Au niveau du timbre, la tendance est aux sons ‘sales’ et aux harmoniques impurs. En témoigne le trio avec piano ‘Fata Morgana’, aux âpres premières mesures. Même quand il écrit pour une poignée d’instruments, Tüür cultive toujours une certaine véhémence, qui fait des plages de détente des moments d’autant plus appréciables qu ’ils sont rares (la coda de ‘Lichttürme’).
Jérémie Bigorie, Classica
In der Musik von Erkki-Sven Tüür gibt es seine ganz klare Richtung: nach oben. Aufsteigende Linien, immer und immer höher. Ein Aufstreben in die Unendlichkeit. […] Das Label ECM veröffentlicht seit den 90er Jahren Musik von Erkki-Sven Tüür und hat ganz wesentlich zur Reputation des estnischen Komponisten beigetragen. Die neue CD widmet sich erstmals seiner Kammermusik. Dass die eine ebensolche Kraft entfaltet wie seine Orchesterwerke markt man vor allem im Titelstück, dem einsätzigen Streichquartett Nr. 2 mit dem Namen ‘Lost Prayers’. Das Signum Quartett arbeitet etwas heraus, das wesentlich die Musik von Tüür prägt: das Spiel mit unterschiedlichen Texturen. […] Eine dichte Klangstruktur wechselt sic hmit zartem, transparentem Gewebe ab – zwei unterschiedliche Texturen, die aber aus dem selben Ausgangsmaterial bestehen. Beeindruckend ist, wie das Signum Quartet diese Kontraste organisch miteinander verbindet. […] Erkki-Sven Tüür beschreibt seine Kompositionsmethode selbst als ‘Vektorielles Prinzip’. Dahinter verbirgt sich ein mathematisches System, das auf einem Zahlencode basiert und das dem Komponisten gleichzeitig einen Rahmen bietet und Spielräume eröffnet. Seiner Musik verleiht es eine Handschrift, die eindeutig und sofort erkennbar ist: Vor allem durch Melodielieinen, die sich eine Zeitlang parallel bewegen, um dann zueinander oder voneinander fort zu streben. Den Musikerinnen und Musikern auf dieser CD geht es nicht darum dieses System zu entschlüsseln, sondern dem Ausdrucksgedanken dahinter nahe zu kommen; Erkki-Sven Tüürs Musik so nahbar zu machen, dass sie ihre ganze Kraft entfalten kann. Das gelingt durch und durch.
Tuula Simon, Westdeutscher Rundfunk
Die Musik „ist auf kunstreiche Weise radikal, intensiv, dramatisch und klanglich differenziert. Sie liefert sich keinem emotionalen Verlauf aus, sondern besteht auf dem rational formenden Prinzip von Materialsichtung und –gestaltung. So nimmt Tüürs Klangsprache immer neue Gestalt an und bewegt sich wie vor einem Bildhintergrund voran. Das allerdings auf eindringliche Weise. […] ‚Lost Prayers‘ ist ein bestechendes Beispiel für zeitgemäße Kammermusik, die keine traditionelle Bindung verleugnen muss und sich dennoch nie nach rückwärts wendet.
Hans-Jürgen Linke, Frankfurter Rundschau
Le début de ‘Fata Morgana’ d’Erkki-Sven Tüür fait l’effet d’une conflagration. Le trio violon, violoncelle, piano explose, mais comme s’il s’agissait d’un phénomène biologique, une diffusion, une dispersion. […] Dans cette pièce magistrale de 2002, mais aussi toutes les autres de ce disque de musique de chambre, l’art très personnel du compositeur estonien impose à la fois l’indéniable modernité de son langage, associé pourtant à un sens de la ligne mélodique et du récit qui emporte l’auditeur sans résistance dans son univers foisonnant et fertile.
Matthieu Chenal, Tribune de Geneve
This is a beautifully recorded disc, the performances are absolutely incredible. We´re playing here with the exploration of possible timbres that these instruments are capable of producing, and the performers excel on this. It feels like you´re sitting at the center of this musical kaleidoscope and you´re hearing all the sounds that change into new patterns and configurations around you.
Leah Broad, BBC Radio 3
Schon mit dem fabelhaft kraftvollen Beginn von ‚Fata Morgana‘ zeigt der 1959 geborene estnische Komponist Erkki-Sven Tüür, dass Kammermusik nicht zwingend Kuschelmusik sein muss. Mit Verve lotst er famose Musiker über einen aufregenden Parcours. Aufreizende Klangfarben sind das bezwingende Ergebnis.
Wolfram Goertz, Rheinische Post