"Wie weitreichend gerade Weberns Variationen für Klavier op. 27 Komponisten der nachfolgenden Generationen beeinflußten, denen Ausdruck und Konstruktion in eins geht und die fasziniert sind vom Moment der Variation, dokumentiert eine neue Einspielung der Schweizer Pianistin Ingrid Karlen. Die Spanne der versammelten Werke reicht von den Dreißigern bis in die achtziger Jahre. Weberns op. 27 spielt die Pianistin überlegen nach der Ausgabe, die Peter Stadlen 1979 besorgte. Er hatte zusammen mit Webern 1937 die Uraufführung erarbeitet, das Espressivo wieder an seinen richtigen Platz gerückt. Ingrid Karlen verifiziert es mit sensibel durchgehörten Phrasen und hochdifferenzierten Anschlagsvarianten. Weberns Anweisungen zum ersten Satz und seine sprachlich fundierte Espressivo-Vorstellung kommen zum Tragen. Die diskursiven Sinneinheiten erhalten ihre Kontur durch einen präzis anhebenden und nachlassenden Ton und ausgearbeitete Dynamik. Vor allem die Pendelbewegung des zweiten Satzes sehr schwer vor dem Monochromen zu bewahren profitiert von dieser Technik."
Annette Eckerle, Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Ingrid Karlens interessante Zusammenstellung bekannter und weniger bekannter Klavierkompositionen des 20. Jahrhunderts kreist um Anton Weberns Variationen op. 27. Variation und Transformation als zentraler formaler Ansatz der Moderne, aber auch als traditionsmächtige Konzeption ist für alle hier zu hörenden Werke der Ausgangspunkt.
Die Künstlerin begnügt sich jedoch nicht damit, die Webern-Variationen wie sonst häufig zu erleben einzig aus der Struktur zu entwickeln, sie gleichsam historisch rückläufig aus der seriellen Schule Darmstadts der fünfziger Jahre zu verstehen; vielmehr scheint sie über den erstaunlich 'romantischen' Ansatz des Uraufführungspianisten Peter Stadlen nachgedacht zu haben und dann zu der Erkenntnis gelangt zu sein, dem Werk sei sehr wohl auch von der Seite der Klangkomposition beizukommen. So entsteht eine sehr intensive, aber aus großer Ruhe geborene Interpretation, die sogar Allusionen an vergangene, aber Webern geläufige Genre-Konnotationen weckt, also fast einen 'Hauch Schubert' atmet.
Dies ist ein schlüssiger Ansatz, um dann die frühen Seriellen Werke eines Pierre Boulez oder Valentin Silvestrov ins rechte Spannungsverhältnis zwischen Formkonzept und spezifischer Traditionslinie zu setzen. Demgegenüber wirken die beiden Sonaten von Galina Ustwolskaja wie erratische Blöcke. Ingrid Karlen bringt hier auch die Disziplin eines starren Rituals, was den Vorstellungen der russischen Komponistin durchaus entspricht."
Hartmut Lück, Fono Forum